Life Magazin und die Hilflosigkeit

Mit Blaulicht in die Unabhängigkeit

Nachdem ich fast 5 Tage durchgesoffen und sehr wenig geschlafen hatte, war ich körperlich und psychisch am Ende und wusste, diesen Status quo musste ich schleunigst ändern und hatte eine glorreiche Idee.

Ich rief einen Krankenwagen, der mich in das nächstbeste Spital bringen sollte. Ich diagnostizierte mir selbst Herzschmerzen, um die Fahrt mit Blaulicht zu rechtfertigen. Wegen seelischer Schmerzen bringt dich keine Ambulanz der Welt auch nur irgendwo hin, es sei denn man erzählt, dass man sich jeden Augenblick selbst massakrieren würde, doch so was lehne ich nicht nur aus Glaubensgründen ab. Wie man einen Herzkranken wirklich spielt, wusste ich nicht, also atmete ich sehr schwer, hielt verkrampft meine Brust und gab mir Mühe möglichst krank zu sprechen.

Die Sanitäter im Rettungswagen klebten mir sofort Pickerl an den Oberkörper, um mein Herz zu überprüfen. Einer murmelte, dass mein Herz am linken Fleck sitzt und einwandfrei arbeitet, ich aber habe die falsche Seite verkrampft gehalten, die rechte Brust.

Jeder Schauspieler macht mal kleine Fehler. Würde ich für eine große Hollywoodproduktion spielen, hätte ich mich sicherlich vier Wochen auf einer Herzstation für die Rolle vorbereitet, doch hier ging es um wichtigeres. Mein Leben entglitt mir wieder einmal und ich brauchte rasch Hilfe und zwar gleich.

Im Krankenhaus angekommen schleppte ich mich zur nächsten freien Liege, zum Glück waren keine Deutschen im Spital, sonst wäre womöglich jede Liege mit einem Handtuch belegt worden, wie sie es nicht nur im sonnigen Mallorca machen. Am liebsten hätte ich eine geraucht, während ich auf einen Arzt wartete, aber das würde nicht so gut kommen. Nach einer halben Stunde wurde endlich mein Name aufgerufen und ich konnte der recht freundlichen Ärztin mein Leid klagen. Sicherheitshalber nahm mir ein etwas älterer Student (oder Fleischhauer) Blut ab. Dummerweise ging ich in meiner zittrigen Rolle dermaßen auf, sodass ich erst am nächsten Morgen meinen blaugestochenen Arm sah. Hätte ich doch nur ein Körperdouble genommen, aber wie gesagt wir waren nicht in Hollywood und der Blutsauger wollte unbedingt mein Blut.

Life Magazin und die Hilflosigkeit

Aufgenommen

Die nette Ärztin entschied, mich im Krankenhaus zu belassen. Gute Entscheidung dachte ich und wurde auf die Psychiatrische Akutabteilung begleitet. Dummerweise hatte ich nur noch eine Zigarette eingesteckt und kein Bargeld mitgenommen. Ich hatte nichts mit, nur meine Verzweiflung, meine Trunksucht und den Willen, diese Laster zu besiegen. Der erste Schritt war gemacht. Ich habe es geschafft, in einer einigermaßen geschützten Umgebung nächtigen zu dürfen, nichts könnte mir passieren, ich hatte keine Möglichkeit an Alkohol oder Drogen ranzukommen.

Auf der Abteilung für Narren empfing mich ein Pfleger, der mir mein 3-Bettzimmer zeigte und Pyjama und Zahnputzzeug gab. Ich war ausgesprochen höflich, das irritierte ihn ein wenig. Er dachte sicher, ich wäre ein Spinner und üblicherweise von der Polizei auf seine Station gebracht worden, die irgendwo randalierten, oder sich total besoffen aus dem Fenster werfen wollten.

 

Nachdem die Formalitäten erledigt waren und mich ein Arzt von oben bis unten untersuchte, wollte ich rauchen und meine neue Bleibe inspizieren. Vor allem interessierten mich die anderen Patienten, die bereits in Schlafanzügen durch die Gegend schlurften, oder im Raucherbereich saßen und sich unterhielten über einen Musiker, der angeblich eine Frau war. Nun ganz so stimmte das nicht, Conchita ist definitiv ein Mann, aber ich hielt mich müde zurück.

Es gab nur neun Stück von den richtig Kranken, also sehr übersichtlich. Augenscheinlich sahen vier wirklich verrückt aus. Einer rannte die ganze Zeit rauchend auf und ab und aß Süßigkeiten. Nur manchmal blieb er stehen und brüllte die Wand an, oder die Klotüre. So ganz konnte er sich nicht entscheiden. Keine Ahnung, warum er gerade mit denen im Clinch lag, aber solange er nicht vor mir stehen blieb, war mir das auch egal. Es war erst acht Uhr am Abend und laut Hausordnung, die ich auswendig lernte, da ich nichts anderes zu tun hatte, gingen erst um 22 Uhr die Lichter aus. Bei einem meiner neuen Freunde gingen sie schon früher aus, einer schlief einfach ein, mit der Zigarette in der Hand und der Rotz lief ihm aus der Nase.

Ein anderer saß im Rollstuhl, er hatte fast keine Beine und überhaupt keine Zähne mehr. Er war alt, schlank, ungepflegt und eines seiner halben Beine bugsierte er auf den Heizkörper und schaukelte bedrohlich mit seinem Rollstuhl. Gleich würde er auf den Boden donnern, sagte ich ihn, „Nein, nein, die sollen Scheißen gehen“ antwortete er und zündete sich eine neue Zigarette an. Was immer er auch damit meinte, ich nickte und fragte ihn ob er mir eine Zigarette borgen würde. Er gab mir gleich acht Stück und seinen Namen. Rudi hieß er und streckte irre seine Zunge raus. Er wollte mich nicht zur Begrüßung küssen wie ich anfangs fürchtete, es war ein Tick und bei diesem rollte er die Augen.

Der Pfleger kam zu mir und meinte es wäre für mich Zeit in den Pyjama zu schlüpfen, wie es hier Sitte sei. Ich glaube, insgeheim wartete er ständig auf eine impulsgesteuerte Handlung von mir, mein Normalsein war ihm nicht ganz geheuer. Ich folgte brav und höflich seiner Aufforderung, nur war meine Pyjamahose um mindestens drei Nummern zu klein und mit meinen Doc Martens (Schuhe) glich ich zumindest modisch den Mitpatienten. Aber der gute Pfleger gab mir Hausschlapfen und eine neue Hose, um nicht so ganz zum Ort passend, auszusehen. Mir war es egal wie ich aussah, ich wollte nur meine Ruhe und endlich war es Schlafenszeit. Als ich in mein Zimmer kam, schnarchte schon einer auf Russisch, oder er schnarchte und stöhnte gleichzeitig in einer Sprache, die sehr nach Russisch klang. Ich kuschelte mich ins Bett zog mein Kissen über die Ohren und freute mich auf den nächsten Tag und den Entschluss, endlich wieder mein Leben zu ändern. Genug mit den Tabletten und Drogen. Ich wollte wieder am Leben teilnehmen und mir war es egal, ob ich in einem psychiatrischen Krankenhaus damit startete. Ich war richtig zufrieden mit der Entscheidung mich mit Blaulicht in die Klapse einliefern zu lassen, ich wollte keinen einzigen Tag länger warten, oder mich nicht schon wieder für eine Entzugsstation anmelden, wo ich ja wusste was mich dort erwartete.

Life Magazin und die Hilflosigkeit

Die erste Nacht

Ich schlief friedlich ein, erwachte aber bereits nach einer Stunde, das Licht brannte und der Pfleger stand im Zimmer, da der Typ im Rollstuhl über Fußschmerzen klagte, er hatte ja seine Stummeln auf dem Heizkörper gelagert und jetzt bekam er die Rechnung dafür präsentiert. Der Pfleger war dümmer als ich angenommen hatte und diskutierte laut – also er versuchte zu diskutieren – aber gegen die Schreie vom Verstümmelten kam er nicht an. Der wollte in seinen Rollstuhl gehievt werden und zwar gleich, auch nach seiner Jacke verlangte er, die ihm angeblich jemand gestohlen hatte. Mir wurde mit einem Schlag klar wo ich mich befand. Hier herrschte keine Logik , es ging um Befindlichkeiten mitten in der Nacht und der Typ hatte mal nun keine Lust zu schlafen und ich war ihm scheissegal. Nach langen unsinnigen Gesprächen kehrte wieder Ruhe ein und gerade als ich wieder eingeschlafen war, schrie der Behinderte schon wieder nach dem Pfleger. Mist, ich wollte endlich ein wenig schlafen, doch der Trottel wollte rauchen. Seine Zigaretten wurden angeblich auch gestohlen. Unser Russe schlief und schnarchte.

Der Pfleger stürmte ins Zimmer, machte wieder das Licht an und eine sinnlose Diskussion begann von neuem. Mittlerweile war es 3 Uhr morgens. Ich stand auf und wollte Wasser trinken, eine Schwester, die auch nicht ihren Nachtdienst verschlafen konnte, wegen dem Rollstuhlfahrer, ermahnte mich schlaftrunken, endlich zu schlafen. „Ja ich würde gerne, kann es aber nicht, da es mir zu laut und zu hell war“. Irgendwie hatte ich das Gefühl, nicht nur die Patienten sind ver-rückt.

Am Gang saßen zwei müde vom Sicherheitspersonal, wie es offenbar in einer Irrenanstalt üblich ist, und rauchten. Rudi saß daneben und rauchte auch. Sie Türe zu unserem Schlafsaal stand weit offen, sodass der Rauch ins Zimmer schlich. Ich schloss die Türe und legte mich wieder ins Bett. Irgendwie schaffte ich es, wieder einzuschlafen. Doch Rudi hatte etwas dagegen. Er rollte fluchend ins Zimmer, da ihm jemand angeblich das Feuerzeug gestohlen hatte. Der Pfleger rannte hinterher und von neuem begann ein unnötiges Gespräch, in dem es nur einen Sieger gab, nämlich Rudi, den beinlosen Idioten.

Die Türe stand weit offen, das Licht brannte auch wieder und ich gab das Schlafen auf, für diese Nacht hatte es keinen Sinn mehr. Trotz alldem war ich froh, in Sicherheit zu sein, schlafen könnte ich auch in der nächsten Nacht.

Der erste Morgen

Endlich kam um 7 Uhr das Frühstück, ich brauchte Kaffee. Es war buffetartig aufgebaut und meine Mitpatienten häuften Semmeln und viel Marmelade auf ihre zu kleinen Tellern. Erst später erfuhr ich, dass mehr als die Hälfte von ihnen Zuckerkrank waren, drei von ihnen teilten sich zusätzlich 2 Liter Cola, aber nicht das zuckerfreie. „Ja, mir egal“, dachte ich bei der dritten Tasse Kaffee. Rudi, mein Zimmerkollege, rollte sich überhaupt gleich vors Buffet und griff jedes Gebäckstück einzeln an, bevor er fünf oder sechs von ihnen verspeiste. Um neun Uhr gab es eine sogenannte Patientenrunde, in der die ganzen Wahnsinnigen und ich aufgefordert wurden, über ihre momentanen Gefühle und was sie stört zu sprechen.

Als erstes zeigte ein Typ auf, von dem ich zuerst dachte, er wäre einigermaßen weniger verdreht. Das änderte sich aber gleich, als er meinte, er könne seine Morgenpisse nicht halten und der Weg zur Toilette sei viel zu weit, “ Ob man da nicht bauliche Verbesserungen ins Auge fassen sollte!“. Der Tagespfleger, der die Sitzung leitete, notierte sein Begehren, ganz so, als würde er ihn ernst nehmen. Als endlich ich an der Reihe war, schlug ich vor die Nachtruhe einzuhalten, auch das wurde notiert. Meinem Sitznachbarn waren die Stühle zu hart und der nächste beklagte die viel zu viele Marillenmarmelade in der Früh, er hätte lieber mehr Erdbeere – schon notiert.

Sehr schwierig

Life Magazin und die Hilflosigkeit

Zum Glück kam meine Mutter und brachte mir Zigaretten und jede Menge Obst. Den restlichen Tag war nichts zu tun, außer Rauchen. Es war zwar ein Tagesablauf-Plan aufgehängt, wo alle möglichen Therapien aufgelistet waren, die nahm aber niemand wahr, nur die Zeit fürs Mittagessen. Rudi saß neben mir, am Vormittag hatte ich mich mit ihm ein wenig unterhalten. Er war eigentlich kein psychischer Notfall, ich glaube, er tat nur so andersund er hatte jede Menge Spaß die Pfleger, die auch immer bereitwillig auf seine Blödheit eingingen, zu sekkieren.

Ja, wer war nun Patient und wer war keiner? Ich schenkte ihm mein Mittagessen samt Dessert, obwohl ich wusste, er dürfe das alles nicht essen. Er selbst bekam nur Schonkost und verschlang nicht nur mein Menü, sondern löffelte alles auf, was andere übriggelassen hatten. Ich hoffte, der Zuckerschock würde ihn in der Nacht umhauen und versprach ihm auch gleich mein Abendessen.

Am Nachmittag unterhielt ich mich mit Aisha, einer Patientin, die ich vorher kaum zu Gesicht bekommen hatte. Sie war 22 und Südländerin, sprach einwandfreies Deutsch, hatte langes schwarzes Haar und war sehr hübsch. Ihre Bewegungen waren sehr elegant, sie wirkte wie die Tochter einer Fürstenfamilie und klagte ihr Leid mit den Eltern, die ihr offenbar alles, was eine junge, intelligente Frau interessiert, verboten hatten. Sie fühle sich eingesperrt, naja das war sie ja gerade auch, aber sie meinte, von ihren Eltern daheim. Sie machte mir Komplimente, ich sehe gut aus, aber irgendwie war sie mir nicht geheuer. Wenn ich auf Aufriss-Modus gewesen wäre, hätte ich sie auf der Stelle geküsst. Doch ich war nicht wegen Frauen hier, ich wollte wieder zurück ins Leben finden. Ich sagte ihr, ich müsse nun gehen und setzte mich außer Sichtweite, rauchte und trank Tee.

Was mich dort wunderte, war die Tatsache, dass all die Ungesunden die Station und das Anstaltsgelände verlassen durften, ohne sich abzumelden. Die, die am meisten Zuckerkrank waren, kamen mit Tüten voller Schokolade, Zuckerln und Cola, die sie auch die ganze Zeit verspeisten. Keinen Pfleger und keiner Schwester kümmerte das, die waren beschäftigt mit Tratschen und Kaffeetrinken. Irgendwie musste ja ein anstrengender Arbeitstag bewältigt werden und die Patienten waren die letzten, die auf der Agenda standen. Keine Zeit für die Idioten, sie kommen doch eh alle wieder zurück. Einer vergaß, sich den blauen Anstalts-Pyjama auszuziehen und ging einkaufen. Als er zurückkam, war er total angeschissen und weinte. In so einem Fall mussten die Pfleger handeln. Das bekackte Kleidungsstück kam in einen schwarzen Plastikbeutel und der Patient unter die Dusche. Mit frischem Pyjama und getrockneten Tränen begann er sogleich sich wieder ungesundes Zeugs reinzustopfen. Es war immer nur eine Frage der Zeit, bis die Pfleger ihre Privatgespräche und die Unmengen an Kaffee unterbrechen würden.

Life Magazin und die Hilflosigkeit

Aisha und der Leibhaftige

Plötzlich hörte ich Aisha, die in ihrem Zimmer war und nach Schwester Monika rief: „Schwester Monika bitte kommen Sie“. Dann begann sie plötzlich zu stöhnen und schrie: „Ich liebe deine Augen, bitte komm zu mir!“. Ihr stöhnen wurde immer geiler und lauter und schrie auf Englisch: „Yes, i love you Babe, i like your Eyes and your Body, please where are you?“

Das ganze klang nach einem guten Pornofilm, vorerst. Doch dann wurden die Schreie immer unheimlicher und sie wechselte wieder die Sprache. Ob das nun Aramäisch war? Ihre Stimme wurde immer bedrohlicher, ich musste was tun und suchte diese Schwester Monika. Die aber winkte gelangweilt ab, um in Ruhe ihren Kaffee zu trinken. „Diese Aisha nervt schon den ganzen Tag“, pfauchte sie mürrisch. Naja vielleicht wäre ein Exorzist auch die bessere Lösung gewesen als Schwester Monika. Aber woher verdammt, so geschwind einen bekommen? Da dem geschulten Pflegepersonal das Schicksal der armen Aisha vollkommen egal war, (obwohl sie ja gerade jetzt der Teufel penetrieren könnte), ging ich eine Zigarette rauchen und kümmerte mich nicht weiter darum. Ich war viel zu müde für eine private Rettungsaktion und viel zu schwach, mich alleine gegen das vermeintlich Böse in Aishas Zimmer zu wehren. Vielleicht holte sie sich auch nur lautstark einen runter und denkt dabei an die wirklich nicht hübsche Schwester Monika, die ohnehin keine Zeit für Arbeit hatte.

Life Magazin und die Hilflosigkeit

Die zweite Nacht

Endlich war es 22 Uhr, meine neuen Freunde bekamen ihre Abendmedikamente und ich freute mich auf eine hoffentlich ruhige zweite Nacht, zog brav meinen Schlafanzug an, dachte kurz daran Aisha zu besuchen, die aber vermutlich schon befriedigt oder schwanger vom Leibhaftigen war, und schlief ein. Nach kurzer Zeit spielten sich dieselben Szenen wie in der letzten Nacht ab, nur dass dieser verdammte Rudi um Mitternacht, diesmal seine angeblich gestohlene Tasche wiederhaben wollte.

Ich war sauer und dachte „Warum haben sie diesem Idioten die Beine abgeschnitten und nicht den Kopf?“, dann könnte er draußen kopflos und schweigend herumrennen und gegen eine Wand knallen, der Fall zu Boden hätte mich nicht geweckt. Natürlich hatte derselbe Pfleger Nachtdienst und begann wieder eine sinnlose Diskussion im hell erleuchteten Zimmer. Ich fragte ihn, ob es ihm nicht zu blöd wäre, jede Nacht die Zeit mit diesem Querulanten zu vergeuden und ob es nicht sinnvoller wäre, ihm doch ein paar Tabletten mehr zu verabreichen, damit der Kerl die nächsten zwei Wochen durchschläft. „Sie verstehen das nicht“, antwortete er und nachdem sie herausgefunden hatten, dass sich die „gestohlene“ Tasche in Rudis Kasten befand, (wo er auch seine Jacke und seine Zigaretten aufbewahrt hatte), kehrte endlich Ruhe ein.

Ich hatte Mühe, immer und immer wieder einzuschlafen, es gelang mir irgendwann. Plötzlich bemerkte ich eine Art Berührung an meinen Beinen, ich öffnete die Augen und sah einen Kopf mit zwei Händen auf meinem Bett. Ich habe mich noch nie so gefürchtet wie in diesem Augenblick und schrie ganz laut „Hiiilfe“. Es war ein unbewusster, schlaftrunkener Hilfeschrei und als ich etwas zu mir gekommen war, erkannte ich den Kopf von Rudi. Da er ohne Beine die Größe eines Zwerges hatte und am Boden vor meinem Bett herumgekrochen war, sah ich nur seinen Kopf, der bis zur Oberkante meines Bettes reichte.

Der wahnsinnige war genauso erschrocken wie ich und schaute mich mit großen Augen an. „Ich such nur mein Feuerzeug“ stammelte er. Warum er es in meinem Bett vermutete, konnte er nicht erklären. Der Pfleger stürmte ins Zimmer und fragte, was los sei. „Der Teufel ist los und scheinbar war ihm Aisha nicht genug, er wollte auch die Seele von Rudi“. Natürlich verstand er kein Wort und hoffte wahrscheinlich, dass ich nun auch so richtig verrückt geworden war, wie es sich in einer akutpsychiatrischen Abteilung gehört. Rudi sagte, er wollte nur Bodenturnübungen machen, um sich fit zu halten. Das verstand der Pflegende schon eher. „Aber muss das unbedingt um 3 Uhr in der Nacht sein?“ war seine für mich sehr unbefriedigende Antwort. „Wäre nicht jetzt die beste Gelegenheit, Rudi einzuschläfern?“ „Sie verstehen das nicht!“. Natürlich verstehe ich nach 48 Stunden ohne Schlaf nichts. Für mich war die Nacht gelaufen, ich hatte keine Lust mehr mich in den Schlaf zu zwingen. Womöglich erwache ich nach einer Stunde und werde munter, da mich Rudi in den Arsch fickt. Darauf hatte ich schon gar keine Lust. Die Nacht war für mich gelaufen, in dieses Bett kehre ich nicht mehr zurück. Es galt, nur noch die Stunden bis zum Frühstück abzusitzen und Rudi saß im Rollstuhl neben mir.

Die gleiche Schwester von letzter Nacht saß wieder schlaftrunken und in Kuschelklamotten eingehüllt in ihrem Personalkammerl und rauchte. Es roch nach frischem Kaffee und ich wollte unbedingt eine Tasse abhaben, aber diese gemeine Frau sah mich nicht einmal an, als sie „Na ganz sicherlich nicht“ zischte. Was nun genau ihre Aufgabe als Krankenschwester war, kann ich nicht sagen, ich sah sie immer nur verschlafen herumsitzen. Es muss aber auch unangenehm sein, wenn man nicht jede Nacht im Schlaf sein Geld verdient und ständig aufgeweckt wird von lästig-renitenten Patienten, die nach ihrer Jacke oder ihrer Tasche schreien. Ob nun andere Patienten dadurch auch gestört werden, war dieser ausgebildeten Fachkraft sowas von egal. Für ein Gespräch oder Trost oder gar eine Tasse Kaffee hatte sie keine Zeit.

Life Magazin und die Hilflosigkeit

Auschecken

Als endlich der Morgen dämmerte und die Ärzte eintrafen, checkte ich aus und fuhr enttäuscht nach Hause um zu schlafen.

The Rolling Stones - "Sister Morphine" - recommended by Ludwig Oberndorfer

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Comments

  • DeFunes

    A Wahnsinn der Artikel, a Mischung aus Verzweiflung und Humor, sehr gut geschrieben!!!!!!!!!!!!! Warum habst ihr keine Fotos von den Autoren.Lese sehr viel von euch und tät gern wissen wie ihr ausschauts, die Gesichter zu den tollen Beiträgen.LG DeFunes

    • Manfred Cobyn

      Hallo DEFUNES, vielen Dank für dein Lob! Ja, wir vom LIFE Magazin bemühen uns, um euch da draußen guten Lesestoff zu bieten. Eigentlich stecken wir noch in den Kinderschuhen und im Hintergrund wird hart gearbeitet. Deine Idee, Fotos von den RedakteurInnen zu zeigen haben wir schon in Angriff genommen und passiert demnächst. Liebe Grüße Manfred Cobyn

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