Life Magazin, Staatsoper, Salome, Literaturoper nach dem Drama von Oscar Wilde aus dem Jahre 1891, Richard Strauß

Bin ich süchtig nach Salome und Kultur?

Salome ist eine Literaturoper nach dem Drama von Oscar Wilde aus dem Jahre 1891. Komponiert hat die Musik Richard Strauß 1905. Nun zu sehen in der Wiener Staatsoper

Endlich schaff ichs auch wieder in die Vorstellung, es ist das vierte Mal in der Staatsoper, und ich frage mich, ob ich als einzige süchtig bin oder es anderen auch so geht. Diesmal sitze ich extra in der Loge direkt beim Orchester, denn anders als bei anderen Opern wo ich den Gesang schätze, liebe ich hier das immer geniale Staatsopernorchester. Bei der Ansage, dass man nur am erworbenen Sitzplatz sitzen soll lächle ich und denke, ja sicher. Ich habe dank der Culturall App sogar dem Herrn neben mir auf den teuren Platz in der ersten Reihe verholfen. Mit ihm habe ich ein wenig über verschiedene Opernstücke geplaudert, er kennt sich aus und bringt mich auf den neuesten Stand, wann welche Premieren sind und welche Stücke sich wirklich lohnen. Bis 5 Minuten vor Beginn war die Karte nicht verkauft, der Platz also zur freien Verfügung. Und ich sitze dort nicht gerne, dort ists mir zu kuschelig. Ich sehe vom Hochstuhl mit Beinfreiheit in der zweiten Reihe super gut aufs Orchester und 3/4 der Bühne, perfekt.

Life Magazin, Staatsoper, Salome, Literaturoper nach dem Drama von Oscar Wilde aus dem Jahre 1891, Richard Strauß
© Wiener Staatsoper - Salome

Unterwasser-Klimt trifft Hundertwasser im Jugendstilzimmer

Das Bühnenbild ist eine Mischung aus einem Unterwasser-Klimt und ein wenig Hundertwasser, alles fließt. Es ist sehr harmonisch, ein wenig Jugendstil Kitsch und zarte Schönheit. Die Kleidung der Sänger passt gut dazu, alles wallt und glänzt und sieht wunderschön aus. Und ja, sie können alle singen und es ist ein Genuss zuzuhören. Das Orchester leitet ein junger Dirigent, ich sehr nachher nach, er heißt Thomas Guggeis und ist spitze. Das sage nicht nur ich, sondern auch Menschen, die sich wirklich damit auskennen. Die Musiker haben Spaß, lachen sich zwischendurch zu und schauen sogar ab und zu neugierig auf die Bühne während sie sich kunstvoll die Finger wund spielen und die Lungen aus dem Leib blasen. Das Stück rast von einer Höhe zur Nächsten, weiter durchs dunkle Tal, wird vom reißenden Fluss mitgerissen und ruht sich dann auf einer grünen Wiese kurz aus. Um daraufhin vom wilden Sturm unaufhaltsam davon gezerrt zu werden. Zugegeben, ein wenig blumig, aber so ist es nun mal. Und deswegen gehe ich bestimmt noch öfters hin. Es fühlt sich an wie 40 Minuten, vielleicht ein wenig länger, Salome verliebt sich, tanzt, tötet, stirbt, und dann ist es nach 1 Stunde und 45 Minuten schon vorbei. Und ich bleibe verstört und irgendwie glücklich aufgewühlt zurück.

Life Magazin, Staatsoper, Salome, Literaturoper nach dem Drama von Oscar Wilde aus dem Jahre 1891, Richard Strauß
© Wiener Staatsoper - Salome

Gedankenkarussell im Rausch des Schleiertanzes

Es ist sehr erholsam sich einfach mal wieder von Kultur einlullen, in diesem Fall verstören, zu lassen und der Realität zu entkommen. Klar, zwischendurch erinnert mich irgendetwas im Stück an den Wahnsinnigen in Russland und ich denke verträumt an die Zeit vor Corona als alles noch so einfach war. Im Nachhinein betrachtet, versteht sich. In Wahrheit war nichts einfach, ich habe es nur nicht gesehen. Die Musik lässt den Raum, um in solche Gedanken abschweifen zu können und Salome, alias Jennifer Hollowaye, tanzt sich gerade ihre 7 Schleier auf dem Teil der Bühne ab, den ich nicht sehen kann. Ich frage mich, wie weit sich die Menschheit in den letzten 2000 oder 3000 Jahren verändert hat. Gar nicht? Zum Besseren? Zum Schlechteren? Woran gemessen? Ein Mädchen hat Aufgrund ihrer – sexuellen – Ausstrahlung auf einen mächtigen Mann so viel Einfluss, dass er ihr alles verspricht.

Life Magazin, Staatsoper, Salome, Literaturoper nach dem Drama von Oscar Wilde aus dem Jahre 1891, Richard Strauß
© Wiener Staatsoper - Salome

Sie will nichts liebliches, sie kostet die Macht, die er ihr gibt, voll aus und tötet. So wie sie es von ihm gelernt hat. Auch wenn ihre Beweggründe vermutlich anders sind als seine, aus einem Akt der Rache, Verzweiflung und Ohnmacht. Sie wird vom selben Mann, der so auf sie steht und der sie geformt hat, fallen gelassen, als ihm nicht mehr gefällt wie sie sich entwickelt hat. Kein Kommentar. Ist Herr Obernarzisst im Osten eigentlich verheiratet und hat er Kinder? Ich weiß es seltsamerweise nicht. Macht macht korrupt, sagt man. Und wohl offensichtlich größenwahnsinnig, verrückt und völlig über jegliches Ziel und jede Moral hinausschießend. Klingen die Worte Narzisst und Nazi im Russischen eigentlich ähnlich und kann man sie verwechseln? Ah, sie ist fertig mit tanzen, jetzt geht’s um Kopf und Kragen des armen Jochanaan. Wunderbar gesungen von John Lundgren übrigens. Dankbar bin ich wieder mehr im Stück gefangen als in meinen Gedanken.

Life Magazin, Staatsoper, Salome, Literaturoper nach dem Drama von Oscar Wilde aus dem Jahre 1891, Richard Strauß
© Wiener Staatsoper - Salome

Nacktes Rekeln statt Jugendstilschönheit als Zeichen der Veränderung?

Beim raus gehen unterhalte ich mich wieder mit dem netten Herren im schicken Anzug, der ein Abo für einen 12 Euro Platz gekauft hat. Er hat die Salome schon 40 Mal gesehen und  kommt wieder. Da mischt sich auch eine Dame aus der ersten Reihe ein und gesteht, dass auch sie vielfache Wiederholungstäterin ist. Wir könnten also eine Selbsthilfegruppe gründen und ich wäre bei weitem nicht der schwerste Fall. Leider erfahre ich jetzt auch, dass es die Salome nur noch zwei Mal in dieser Inszenierung gibt. Der neue Direktor will frischen Wind in die alten Hallen bringen und in Zukunft werden sich nackte Leiber auf der Bühne wälzen. Aha. Wir Süchtigen fragen uns wieso und trauern schon jetzt um unser Lieblingsstück. Ja, ich werde es auch mit der neuen Inszenierung versuchen, die Musik bleibt ja dieselbe. Schlimmstenfalls muss ich mir eben eine Sichteingeschränkte Karte kaufen, die Augen einfach die ganze Zeit zu lassen oder einfach meine Brille weglassen. Das schaffe ich. Aber die Frage nach dem Warum bleibt wie bei so vielen anderen Dingen bestehen.

STS "Sie Wissen All‘s Besser" - recommended by Babsi Keoma

p

Comments

Post a Comment

logodesigned and developed by L!FE-Magazin 2024.