Life Magazin, Manfred Cobyn, Borderline

Borderline- Geschenk und Potenzial?

Eine andere Sichtweise und Blickwinkel der berühmten Borderline Persönlichkeitsstörung (BPS) oder emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs. Sind Betroffene und Angehörige verflucht oder beschenkt?

Eine persönliche Geschichte:

Diese Destruktivität mit vereintem gleichzeitigem Konstruktivismus ist schwierig zu steuern und kontrollieren. Aber in diesem Grundthema der Menschheit ist oft das Gleiche und Gegenteil dieselbe Variante des Problems.

Ich bin keine Psychiaterin oder Psychotherapeutin, auch nicht Betroffene in erster Linie, sondern liebe Freundin einer schwer erkrankten Frau, welche in die Schublade Borderline Persönlichkeitsstörung gesteckt und klassifiziert wurde.

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Kurz zur Definition

Was zeichnet eine BPS aus?

BPS gehört zu den sogenannten „emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen“. Die Bezeichnung „Borderline“ bezog sich in früheren Jahren auf eine unscharfe und nicht definierte Grenzlinie zwischen Neurose und Psychose und wurde gewählt, da man bei den betroffenen Patienten Symptome aus beiden Bereichen identifizierte. Heute hat sich die starre Diagnose geändert. Mein Kollege Manfred Cobyn hat mit Christian Reininger, MSc, Psychotherapeut, ein Interview geführt, welchen ich in diesem Artikel zitieren werde. Er spricht lieber von „Borderline-Dynamiken“, um verstärkt die interaktionellen Aspekte des Geschehens in den Blick zu nehmen. Die Balance von Nähe und Distanz, von Verbundenheit und Autonomie sei generell eine Herausforderung des sozialen Wesens „Mensch“. Unsere Bedürfnisse liegen immer wieder mal im Widerstreit, beispielsweise wenn wir uns an eine Schulter anlehnen, aber gleichzeitig auch selbstbestimmt bleiben wollen, wenn wir für jemanden da sein wollen, aber trotzdem unsere Freiheit nicht aufgeben wollen.

Gefühlswelt

„Klienten mit ausgeprägtem „Borderline-Erleben“ geraten in solchen ambivalenten Situationen sehr häufig schnell und intensiv in einen Hochstresszustand, erleben die Welt plötzlich äußerst bedrohlich und verhalten sich scheinbar völlig irrational. Sie haben mitunter enorme Schwierigkeiten, ihre inneren gefühlsmäßigen Zustände zu regulieren.“

Dabei dominieren äußerst unangenehme Spannungszustände, die zuweilen als unerträglich empfunden werden. Um diese extreme Anspannung zu verändern, entwickeln Borderline-Patienten bestimmte Strategien wie Selbstverletzungen. Sie verletzen sich unter anderem dadurch, in dem sie sich mit Messern oder Rasierklingen in die Haut schneiden oder sich Verbrennungen zuführen.

Risikofaktoren

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„Verständlich wird das starke Stress-Erleben und die Reaktionsweisen der Betroffenen, wenn man die erhöhte Sensitivierung von Körper und Geist auch in biografischen Zusammenhängen sieht. Körperliche und sexualisierte Gewalt sowie seelische Misshandlungen erhöhen das Risiko für Borderline-Dynamiken erheblich.“ So berichten auch viele Klienten von Christian Reininger von teilweise massiven Gewalterfahrungen und/oder dem Fehlen eines ausreichend verlässlichen, schützenden und versorgenden Klimas in deren Aufwachsen.

Nähe wurde von vielen Betroffenen genauso wie Distanz vor allem als unzuverlässig und gefährlich erlebt. Dieses Dilemma ist für ein Kind aufgrund der bestehenden großen Abhängigkeit von Erwachsenen schwer auflösbar. Entscheidend für eine gesunde Entwicklung ist daher eine verlässliche und emotional Halt – und Orientierung gebende Bezugsperson (wie Großeltern, Lehrer oder Trainer). So können sich Schutzfaktoren ausbilden, um mit den Herausforderungen des Lebens gut zurechtzukommen.

DER GESUNDE HAT VIELE WÜNSCHE, DER KRANKE NUR EINEN

Forscher gehen davon aus, dass bei Menschen mit „Borderline – Erleben“ die Kommunikation bestimmter Hirnzentren, welche die emotionale Verarbeitung kontrollieren, gestört ist. Daher erleben Betroffene alle Gefühle sehr viel intensiver als Gesunde.

Neben den Spannungszuständen verspüren Borderline-Patienten auch intensive aversive Emotionen wie Schuld, Scham, Ohnmacht und Selbstverachtung. Diese Gefühlswelt beeinflusst die zwischenmenschliche Interaktion und beeinträchtigt ihr Beziehungsleben.

„Selbstverletzung tut auf gewisse Weise auch anderen weh, es gibt also gar keine so klare Trennung der Fremd- oder Eigenverletzung. Es zeigt sich hier die Verzweiflung und ein hohes destruktives Potenzial in unterschiedlichem Gesicht.“

Die ständigen scheinbaren Unsicherheiten im zwischenmenschlichen Bereich führen wiederum zu Spannungszuständen. So erhält sich ein fortlaufender Kreislauf.

Häufige zusätzliche Störungsbilder sind z. B. Depressionen, die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Essstörungen, andere Persönlichkeitsstörungen und Substanzmissbrauch.

 

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Betroffene benötigen daher professionelle Unterstützung, um mit ihren Herausforderungen besser zurechtzukommen. Viele haben langfristig Probleme, ihre Gefühle zu kontrollieren oder sich sozial zu integrieren. Christian Reininger erklärt, “dass in Krisensituationen auf archaische und auf bereits gut eintrainierte Muster zurückgegriffen wird. Wenn es gelingt, das generelle Bedrohungserleben zu reduzieren und konstruktivere Reaktionen auf Überforderung auszubilden und zu trainieren, können Betroffene die Lebensqualität für sich und Angehörige massiv verbessern.”

Rosi

Meine beste Freundin, ich nenne sie hier Rosi F. wurde 1995 damit konfrontiert, dass sie offensichtlich an einer psychischen Störung litt, als sie wegen eines Suizidversuches in die Psychiatrie ins AKH eingeliefert wurde. Sie wollte sich die Pulsadern aufschneiden, doch ich kam noch rechtzeitig in ihre Wohnung und bewahrte sie vor dem Verbluten.

Sie wurde für 8 Wochen dortbehalten. Die Ärzte machten mehrere psychologische Tests mit ihr und diagnostizierte BPS. Da sie sehr depressiv war, konnte die damalige Therapie nicht fruchten und ihr eigentliches Martyrium begann. Später verschlimmerte sich ihr Zustand, sie wurde alkoholkrank, essgestört (Bulimie: Ess-Brechsucht) und reduzierte ihre persönlichen Kontakte auf ein Minimum.

 

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Rosi war sehr sensibel, kreativ, mitfühlend und aufmerksam. Leider gab es auch eine Schattenseite, die ihr stark zu schaffen machte. Die ewige Anspannung brachte sie dazu sich selbst zu „ritzen“, damit meine ich nicht kleine Kratzer, nein, es waren tiefe Schnitte in ihr Fleisch mit einem Skalpell. Auch aß sich oft Unmengen, um es später wieder zu erbrechen. Es verschaffte ihr Erleichterung, doch die hatte einen hohen Preis.

 

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Ich war hilflos und wusste anfangs nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich wollte ihr nicht bei ihrer Selbstvernichtung tatenlos zusehen. Doch so sehr ich mich bemühte, mit Liebe und Einfühlsamkeit ihr Ratschläge zu geben und sie zu bitten, eine Psychotherapie zu beginnen, schlug sie um sich (im wahrsten Sinne des Wortes), schickte mich weg und versank in eine Depression. Ihr war meine Nähe zu viel und gleichzeitig sehnte sie sich danach. Aber auch Verlustängste trieben sie mich abzuweisen. Ich war überfordert und ohnmächtig.

 

Schöne neue Welt einmal anders

Schließlich meldete sie sich bei einer Borderline-Tagesklinik an, um dort 3 Monate zu lernen, besser mit ihren Gefühlen umzugehen.

Sie war währenddessen nie körperlich krank, ging jeden Tag brav hin und lernte neue Leute kennen. Doch diese „Beziehungen“ hielten leider nicht lange, da es zu einer Verstärkung der Symptome kam. Doch unsere Freundschaft wurde noch stärker, da sie die Nähe besser bewältigen konnte.

Langsam wurden ihre impulsiven Kontrollverluste weniger und sie begann aufzublühen. Ihre außerordentliche Begabung und Talent in fantasievoller Wahrnehmung und kreativem Ausdrucksverlangen führten dazu, dass sie als Autodidaktin zum Malen begann. Einfach wunderbare Bilder voller Farben und Kraft! Früher sah man nur die Spitze des weiß/schwarzen Eisberges, doch jetzt brach ein wahrer Energievulkan aus ihr heraus, den sie langsam lernte, in einer Psychotherapie (integrative Gestalttherapie) zu kanalisieren.

Als ihr Leidensdruck unerträglich geworden war, meldete sie sich schließlich 2002 freiwillig zu einer Borderline Studie im AKH an. Sie öffnete sich und begann eine Psychotherapie. Ein auslösender Moment war, dass eine Leidensgenossin und Mitpatientin, sie war erst 20 Jahre alt, in Folge der Bulimie an einem Herzinfarkt verstorben war. Das gab ihr zu denken.

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Ich möchte mit diesem Artikel all jenen Menschen Mut geben, welche verzweifelt sind und keine Hoffnung haben, dass sich ihr Leben ändern könnte. Die intensive Wahrnehmung der Gefühle ist oft intensiv und absolut so dass man kein Licht am Ende des Tunnels erahnen und daran glauben kann.

Rosi war nicht die einzige Borderline Betroffene, die ich kannte. Jeder dieser außergewöhnlichen Freunde war hoch intelligent, sensibel, kreativ, fantasievoll und eine bereichernde Persönlichkeit. Ich bin froh, dass ich sie kennenlernen durfte, sie öffnete mir eine Welt der Wahrnehmung unseres Lebens und Umwelt, die mich reich beschenkt hat.

Ich tue mir oft schwer in einer oberflächlichen Bussi-Bussi-Gesellschaft, denn Tiefe bedeutet „erLEBEN“ Wichtig aus meiner Erfahrung ist, dass man diese Tiefe, die auch unangenehm sein kann, nicht verdrängen, wegschieben oder bekämpfen will, dass erzeugt nur Druck und Spannung. Sondern sie akzeptiert, durchlebt und wieder mit neuer Kraft versucht eins zu werden mit sich selber.

Danke Rosi, dass es dich gibt. An all die Unbekannten: ihr seid liebenswert, besonders und reich an Möglichkeiten euer Leben zu genießen! Da bin ich mir sicher.

Erst wenn man wahre Höhen und Tiefen kennt, lernt man sie auch schätzen.

Skunk Anansie „Brazen (Weep)“ recommended by Gala

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Comments

  • WanstaX

    sehr krass!!!!!! hatte einen kollegen der auch so drauf war.........wollte ihm helfen aber wusste nich wie.......skunk anansie passt voll zur story

    • Gala

      Danke für dein feedback. Ich finde auch, dass Skunk Anansie diese widersprüchlichen, hoch energetischen Gefühle deutlich macht. Sie hat mir manchmal in meiner Wut gegen die Welt geholfen und meine Kraft kanalisiert. Liebe Grüße, Gala

  • Nevermind

    Super geschrieben auch ich litt an Ess brechsucht.Das waren die schlimmsten Jahre meines Lebens.Borderline sollte kein tabuthema sein. Was wissen die, die an sowas nie litten, die bemitleiden uns aber wissen nichts. Nevermind

    • Gala

      Liebe Nevermind, leider bemitleidet niemand Ess-Brechsucht. Sie verstehen eben nicht, dass man krank ist und selber darunter leidet. Die meisten meinen, es ist bei einer, wie du richtig geschrieben hast, tabuisierten Krankheit oder Sucht einfach aufzuhören. Es gibt sogar Abneigung gegen Essstörungen. Warum werden die Opfer nicht geschützt und unterstützt. Leider müssen sie sich verstecken und noch mehr schämen. Traurig. Und diese Einsamkeit erst.... Liebe Grüße Gala

  • Emil69

    Manche Fotos hier finde ich echt grenzwertig. Jeder kann für sich entscheiden ob er Alkohol oder Drogen nimmt. Immer wird nur gejammert die Politik gibt eh schon so viel Geld für Alkis oder Junkies aus.Heul Heul

    • Gala

      Hallo Emil69, "Borderline" kommt ja ursprünglich auch aus dem Grenzwertigem. Ob jetzt jeder so frei ist zu entscheiden ob er Alkohol oder Drogen nimmt, kann ich nicht beurteilen. Jeder hat seine Geschichte. Manche zerbrechen daran, manche werden stärker. Aber kann man das beeinflußen? Liebe Grüße, Gala

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