Venedig sehen und erst dann sterben
Irgendwann wird diese Pest Corona ihren schrecken verlieren und dann empfehle ich Venedig, die Schöne, schmeichelnd und verdächtige Falle für Fremde.
Und so sehe ich sie, die Schönheit dieser Stadt, jedes Mal aufs Neue, jedes Jahr mehrere Male, bei Sonnenaufgang, bei Tageslicht und bei Sonnenuntergang – wenn nicht die vielen tausend Touristen den Blick versperren, Busladungen voll Einwegmaskentragender Damen die beliebt schicken Toiletten des Luxuskaufhauses T Fondaco dei Tedeschi gestürmt und verwüstet haben um mit frisch aufgetragenem Lippenstift die Dachterrasse zu stürmen um das nächste Selfie vor der atemberaubenden Kulisse des Canal Grande zu schießen.
Venedig ist mehr, mehr als der Markusplatz, der nach seinem Einsturz 1902 wieder aufgebaute Campanile, dem Guggenheim Museum der mehr als überbewerteten Rialotobrücke oder die an jeder Ecke um den Markusplatz angebotenen Gondeln
Die Serenissima kann Herzensheimat werden, wenn man sich auf sie einlässt. Die Stimmungen in sich aufnimmt, die rund um die Tittenbrücke (Ponte delle tette) in den dunklen Gassen herrscht, einen Aperol samt Olive in den beliebten Bars auf dem Campo nimmt oder einfach am Lido spaziert.
Den VenezianerInnen wird nachgesagt Touristen gegenüber zu fremdeln und auf Rückzug zu gehen, dringt man aber abseits der Trampelpfade in die Lebenswelt des Stadtbewohners ein, erlebt man offene Menschen, die gerne von ihrer Stadt schwärmen, den Interessierten an wenig bekannte Plätze führt und ihm die schnellste Fortbewegungsart seiner Heimat ans Herz legt, per pedes und nicht im überfüllten Wasserbus namens Vaporetto. Trifft man sie zu einem Sprizz in der Bar, kann es schon zu rührseligen Geschichten über die Unleistbarkeit venezianischen Wohnraums für Einheimische kommen, die von ihrer Stadt aufs Terraferma (Festland) rund ums scheußliche Mestre vertrieben werden.
Dem kunstinteressierten Besucher wird natürlich nahegelegt sich über Baustile, Bauwerke und die bekanntesten Museen kundig zu machen, wobei zu erwähnen ist, in vielen Kirchen der ehemaligen Republik hängen Kunstwerke kaum schätzbaren Wertes großer Meister. Mariä Himmelfahrt von Tizian in der wundervollen Kirche am Campo dei Frari im Stadtteil San Polo wäre nur als eines zu nennen.
Ist man nicht unbedingt ein Groupie alter Meister wie dem genannten Tizian, Tintoretto oder wie sie alle heißen sondern hängt mehr an zeitgenössischer Kunst ist man gut beraten dem alten Zollgebäude, Punta della Dogana schräg gegenüber dem Markusplatz, einen Besuch abzustatten. Eintrittskarten gibt es nur in Verbindung mit dem Palazzo Grassi. Der Palast gehörte im Laufe der Jahrhunderte vielen Familien, geeint sind alle durch immensen Reichtum. Heutiger Besitzer des Palastes ist der Ehegatte von Hollywood Darstellerin Salma Hayek, der uns dort mit einer Eintrittskarte das Gefühl gibt ein Teil seines Haushaltes zu sein, wird dort ja in wechselnden Ausstellungen seine private Sammlung gezeigt. Ich habe dort schon viele gesehen.
Überhaupt kommt man ja an keiner Ecke der Serenissima an Kunst und Kultur vorbei, nimmt sie auch jeder anders wahr. Der gründliche österreichische Handwerker bemerkt die, seiner Meinung nach, dilettantischen Ausführungen an den alten Gebäuden, der kunstaffine geht mit offenen Augen durch die Straßen und kann so gleich zwei Banksy Werke an Hausmauern entdecken, abseits der beliebten Plätze finden sich die Giardini in der jährlich die Biennale stattfinden, ein bisschen grün zwischen vielen alten Bauwerken und dem Wasser.
So viel könnte man über Venedig schreiben, wieso Istrien in diesem Zusammenhang so kahl wirkt, also baumlos. Haben ja die guten alten Dogen ihre Stadt quasi auf istrischen Bäumen in den Sumpf gerammt beziehungsweise vergrößert. Man könnte über das Aqua alta philosophieren, dass die Lagune nun öfters als früher heimsucht, wieso Donna Leons Commissario Brunetti nicht in italienischer Sprache ermitteln darf und ob denn nun wirklich jeder Häftling beim Gang vom Gericht zum Gefängnis beim letzten Blick auf Venedig seufzen musste.
Man könnte aber auch um Rücksicht gegenüber dem Venezianer auf dem Weg zur Arbeit bitten, der seinen guten Anzug an der rechten Hausmauer beschmutzt, weil er zuvorkommend, wie er ist, der strammen Reiseführerin samt Gruppe , den Vortritt lässt, auch darf jeder schmatzende Besucher seine Plastikflaschen und Jausensackerln wieder einpacken und nicht an gefälligen Plätzen liegen lassen, auch dem Vaporettofahrer darf freie Sicht gewährt werden, möchte er doch gerne seine Fuhre heil ans Ziel bringen.
Oder man versucht folgendes: Venedig ist meine Stadt, sie ist der Fleck auf dieser Erde an dem ich am liebsten bin. Egal ob im Sommer, schwitzend bei 38 Grad, im Frühjahr wenn man kaum über die Rialto kommt, weil das Wetter schön, aber nicht zu heiß ist, im Herbst, wenn die Touristen nicht mehr so zahlreich erscheinen und man oft wegen des Nebels die Hand vor Augen nicht sehen kann, im Winter, wenn es kalt ist und die Venezianer nicht so heizen dürfen, wie sie wollen, ja Klimaschutz kennen sie dort auch! Die Serenissima ist zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Genießen sie frühmorgens, kurz vor Sonnenaufgang die leeren Gassen, sie werden immer Schönheiten entdecken, nehmen sie dann einen Kaffee, am besten in einer kleinen Bar am Tresen, gleiten sie ruhig in den Tag, atmen sie die Luft des Meeres, gönnen sie sich eine Kleinigkeit unterwegs zu Mittag, gehen sie in den kleinen Geschäften ein paar Andenken kaufen, egal ob ein Parfum, eine innovative Tasche, ein hübsches Kleid oder bequeme Schuhe beim heimischen Händler, teurer als bei den großen Ketten, aber um einiges länger Freude bereitend. Gönnen sie sich ein opulentes Abendmahl, probieren sie ruhig auch Dinge, die sie nicht kennen, Trippa beispielsweise. Lassen sie sich nicht ausnehmen! Gehen sie mit offenen Augen durch die Stadt, sie erkennen schnell, wo das Herz beginnt und der Tourist verschwindet.
„So ist Venedig, die Schöne, schmeichelnd und verdächtig, Legende und Falle für die Fremden“ schrieb Thomas Mann in seiner Novelle „Tod in Venedig“.
Adriano Celentano- "I Want To Know" - recommended by Manfred Cobyn
Ina Foscari
Chefredakteurin
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