Endlich ist wieder ein gelungener „Don Giovanni“ an der Wiener Staatsoper zu sehen, vor allem aber zu hören. Zwar noch nicht live, das tut der Wirkung dieser Inszenierung und des gebotenen Sängerfestes aber keinen Abbruch
Er ist wieder da. Der Bad Boy der Opernwelt treibt an der Wiener Staatsoper sein Unwesen. Bogdan Roščić programmiert was man von einem ambitionierten Staatsoperndirektor erwarten darf: Ein neuer Mozart-Da-Ponte-Zyklus kommt auf die Bühne. Den Reigen eröffnet „Don Giovanni“, die Premiere bedauerlicherweise als Live-Event durch die 4. Corona Welle ausgebremst, aber dankenswerterweise auf ORF III im TV zu verfolgen. Man macht es sich also auf dem Sofa gemütlich, Getränke und Snacks in Reichweite, die knisternde Atmosphäre im Opernhaus schmerzlich vermissend. Der Vorhang geht auf, Philippe Jordan und das Wiener Staatsopernorchester geben mit einer furiosen Ouvertüre den Startschuss zu Wolfgang Amadeus Mozarts Meisterwerk.
Die schiefergraue Steinlandschaft (Bühne & Kostüme: Katrin Lea Tag) wird ein treuer Begleiter durch den Abend. Überraschende Farbnuancen setzen die eleganten Kostüme, die von den attraktiven Sängern perfekt in Szene gesetzt werden. Don Giovanni hat in der Welt der Oper viele Gesichter: Mal darf er der charmante Verführer sein, manchmal ein berechnender Technokrat, oft ein orientierungsloser Mann, der verzweifelt seine Dosis Selbstbewusstsein in den Armen wechselnder Frauen sucht. Eines ist er aber immer: ein Mörder. Schon nach wenigen Minuten auf der Bühne ermordet er den Vater eines der Objekte seiner Begierde.
Einer für alle, alle für einen
Regisseur Barrie Kosky lässt dem Zuschauer wenig Spielraum was er für einen Don Giovanni präsentieren möchte. Wer mit einem Stein brutal auf den Kopf eines anderen einschlägt ist kein Gentleman-Gauner mit feiner Klinge. Unterstützt durch die unglaubliche durchdachte Personenführung von Kosky ist der US-amerikanische Bariton Kyle Ketelsen als Don Giovanni bis zur letzten Minute alles andere als ein Sympathieträger. Im Gegenteil jeder Szene später fragt man sich wie überhaupt je eine Frau diesem Mann verfallen kann. Ketelsen ist ein eindrucksvoller Sängerdarsteller, mit einer nobel geführten Stimme, vor allem aber mit einem Talent Brutalität darzustellen, die selbst ohne Live-Erlebnis kalte Schauer über den Rücken laufen lassen.
Die Damen, die dem Sexsüchtigen doch in die Falle tappen, liefern ebenfalls herausragende Leistungen ab. Unumstrittene Königin des Abends ist Kate Lindsey als Donna Elvira. Tapfer sucht sie in Don Giovanni nach aufrichtigen Gefühlen, aber auch sie kann sein respektloses Verhalten nicht tolerieren und versucht sich und andere vor dessen Empathielosigkeit zu schützen. Lindsey verleiht mit ihrem eleganten, sehr nuancenfähigem Mezzosopran Donna Elvira großes Format und wird zur Kämpferin für alle Frauen die eben doch nicht die Finger von einem Bad Boy lassen können.
Auch die Rolle der Zerlina darf sich unter Koskys Führung entwickeln. Ihre Zukunft mit dem eifersüchtigen und dünnhäutigen Masetto (Peter Kellner) erscheint nicht besonders rosig. Don Giovanni muss nicht viele Worte machen – auch wenn es mit „Ci darem la mano“ eine der schönsten der Opernliteratur sind –, damit sie eine bessere Welt für sich sucht. Allerdings der Preis, den sie zahlen sollte, ist zu hoch. Patricia Nolz ist Mitglied des Opernstudios der Wiener Staatsoper und agiert souverän, mit feiner Klinge und Stimme. Hanna-Elisabeth Müller ist eine versierte Donna Anna, die ihre Rachegelüste dem Mörder ihres Vaters freien Lauf lässt und damit insbesondere ihrem treuen Verlobten Don Ottavio das Leben schwer macht. Der Franzose Stanislas de Barbeyrac reiht sich mühelos in eine Reihe von berühmten Darstellern dieser eher stillen Figur des Ottavio im turbulenten Don-Giovanni Tableau und bietet mit einem facettenreichen Tenor glasklare Bögen und bezaubernde Pianissmo-Phrasen.
Das dicke Ende kommt!
Begleiter durch das wilde Lebens des Verführer ist Leporello, der alles sein muss: Diener, Kumpel, Biograf und Cleaner, wenn es mal eng wird. In dieser Regie dürfen Diener und Herr sich optisch oft annähern, Don Giovanni lässt aber nicht den geringsten Zweifel daran wer das Sagen hat. Philippe Sly ist ein akrobatisch hoch talentierter Leporello der sängerisch Akzente zu setzen weiß, aber insbesondere mit seiner Darstellungskraft punkten kann.
Kein Mord darf ungesühnt bleiben. Der getötete Komtur (souverän Ain Anger) holt sich sein Opfer, allerdings zerrt er ihn nicht in die Hölle, sondern Don Giovanni erliegt einem Herzinfarkt. So wie schon der Komtur, erhebt sich der ewige Verführer nach seinem Ende und verlässt gelassen die Bühne, während sich die anderen noch von den Anstrengungen und Zumutungen, die eine Begegnung mit ihm erforderte, sortieren. Beide Charaktere werden ewig leben: der Verführer und der Rächer. Kaum wird die Bühne finster möchte man aufspringen, laut applaudieren und dem Ensemble zujubeln. Ein Virus sagt nein, wir aber sagen laut ja zu diesem Don Giovanni.