Einsame Wölfin
Wer geht bei Sturm und Regen zeitig in der Früh alleine in der Natur spazieren? Finden wir es heraus.
Heute war das Wetter selbst für hart gesottene Hundebesitzer ganz schön mies und ungemütlich. Es stürmte und regnete stark, da half auch kein Schirm oder Gummistiefel. Durch den Gatsch hatte man mehrere Kilo Erde an den Füssen picken und rutschte permanent aus. Ein Schirm half bei dem Wind nicht und durch die zusammengekniffenen Augen drang der kalte Regen hinein.
Mein alter Hund hatte auch keine Freude und so hielt ich meine Runde bei der Schwechat in Mannswörth so kurz wie möglich. Wieder erwarten trafen wir jemanden am Rückweg um 7:15. Zuerst hielt ich nach einem Hund im Gebüsch Ausschau, aber da war nichts. Ich wunderte mich, warum eine Frau alleine bei diesen widrigen Umständen spazieren ging.
Sie hatte keine Scheu vor meinem Hund, so kamen wir ins Gespräch und sie fing gleich einmal zu weinen an. Hmm, ich dachte zuerst, es wäre, weil ich ihr erzählte, dass mein Hund noch immer traurig war, weil mein zweiter vor einem Jahr gestorben war. Doch so war es nicht, sie fing nämlich noch mehrmals während unseres Gesprächs zu weinen an.
Zuerst ging es um Hundebesitzergeplänkel, denn ihr Hund war auch gestorben. Sie wollte sich nun einen neuen Cockerspaniel suchen. Doch sie meinte, es gebe keine mehr.
Dann ging die Frau darauf näher ein. Sie erzählte mir, sie wäre bei zwei Züchtern mit den Worten: „ Für sie haben wir sicher keinen Cockerspaniel mehr übrig“ abgewiesen worden.
Wieder komisch: Was war so schrecklich an der gepflegten, ruhigen, etwas weinerlichen Frau, dass Züchter ihr nicht einen Welpen gaben?
Egal, ich hatte es eilig, denn ich musste auch noch zu einem Arzttermin, aber sie beschloss, mich bis zum Parkplatz zu begleiten.
Auf dem Weg verriet sie mir, sie wäre total fertig mit den Nerven und könne nicht mehr schlafen. Deshalb ging sie spazieren, damit sie nicht verrückt werden würde. Wohlgemerkt trotz ihrer Beruhigungstabletten und Alkohol, bis sie normalerweise besoffen war. Wieder wischte sie sich verstohlen ihre Tränen weg, die mir bei dem Regen nicht aufgefallen wären, wenn sie sich nicht auch noch laut geschnäuzt hätte.
Anscheinend wartete sie auf meine Frage, warum sie so fertig war, deshalb tat ich ihr den Gefallen und erkundigte mich dezent nach ihren Problemen.
Zuerst erzählte sie mir die Geschichte ihrer 38-jährigen Tochter. Sie war Anwältin und hatte einen arbeitslosen, nichtsnutzigen Freund, der unbedingt ein Kind wollte. Als die Tochter zum Frauenarzt ging, meinte dieser, dass bei starken Rauchern, viel Alkohol trinkenden Frauen in diesem Alter eine Schwangerschaft unter keinen guten Bedingungen stand. Prompt wurde diese schwanger und wollte dann das ungeborene Kind im 4. Monat abtreiben. Die Mutter versuchte (es war ja für einen Abbruch zu spät) eine geeignete Klinik und angesagte Privatärzte, welche die Tochter verlangte, zu finden. Sie würde sogar aus Großenzersdorf in die Seestadt ziehen, um für ihr Enkerl da zu sein.
Nach dieser ersten Geschichte, folgte die zweite ohne Überleitung. Allerdings fing sie wieder zu weinen an.
Letztens habe sie laut Musik gespielt und der Hausmeister, der ihr nicht gut gesonnen war, da sie mit seiner Ex-Frau befreundet gewesen war, habe sich aufgeführt. Sie hatte extra geschaut, ob Licht in seiner Wohnung war, als sie so laut Musik gespielt hatte, doch laut ihrer Aussage war es aus und er habe sich versteckt. Sein Auto war ja schließlich vorm Haus geparkt und er wollte sie nur ärgern. Doch ihr unmittelbarer Nachbar, ein „Jugoslabe“, welcher schwarz Autos vercheckte, hatte sich beim Hausmaster (Entschuldigung pc: „Facility Manager“) beschwert. Dieser konnte jedoch, wie sie getestet hatte, nichts selber von der Musik hören. Trotzdem stürmte er in ihre Wohnung, nachdem er an der Tür polterte und sie diese geöffnet hatte. Dummerweise lag neben den Lautsprechern ihr Handy und als sie drohte, die Kieberei zu holen, nahm er es kurzerhand mit.
Egal, die Polizei kam trotzdem, weil sie wie am Spieß zum Schreien anfing und im Gang Alarm schlug. Die Kieberer rieten ihr erst am nächsten Tag eine Anzeige zu machen, denn sie war schon wieder, wie die letzten drei Mal zuvor, besoffen. Sie glaubten ihr nichts mehr. So eine Frechheit!
Kurzes Schluchzen.
Als sie Luft holte, resümierte ich in Gedanken ihre Geschichte und wunderte mich, wie ich mich so von Äußerlichkeiten und in Menschenkenntnis täuschen konnte. Sie wirkte gar nicht so rabiat und gestört. Aber man kann sich ja schließlich irren, oder?
Mittlerweile waren wir am Parkplatz angekommen. Kurz vorher hatte ich ihr erzählt, dass mich die „Kontrollorgane“, welche auch immer, dauernd wegen Leinenpflichtverstoßen straften. So riet sie mir, mein altes Auto (wohlgemerkt Baujahr 2019) zu wechseln, weil diese mich sicher durch die Elektronik verfolgen könnten.
Bevor ich wegfuhr, zog ich noch meine Gummistiefel um, doch plötzlich war wie weg. Ich blickte auch in den Rückspiegel, nicht dass ich sie noch überfahren würde, doch nichts, sie war weg. Fußspuren hatte sie auch nicht in diesem Regen hinterlassen, doch eine Art Sympathie in meinem rastlosen Herzen.
Diese Geschichte hat mir wieder gezeigt, wie viele kleine Menschenschicksale in diesem Universum herumschwirren, die ihre Probleme sehr wichtig nehmen, doch am Ende bleibt nichts von ihnen übrig, außer Erinnerungen.
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