Richie ist 57 und hat fast alle stationären Einrichtungen für Suchtkranke in Österreich hinter sich. “Die Therapie beginnt damit, dass man am Tag 1 seine Persönlichkeit beim Eingang abgeben muss. Obwohl Gewalt strengstens verboten ist, herrscht das Gesetz des Stärkeren unter den Klienten. PflegerInnen sehen zu oder weg. Als ich einmal am Anfang meines Entzuges war, ging es mir sehr schlecht, ich war in einem 4-Mann Zimmer untergebracht. Überall wurde publiziert, dass man Rücksicht auf andere Patienten nehmen soll, doch das waren leere Phrasen.
Ein polnischer Staatsbürger war bei mir im Zimmer unter gebracht, der vom Gericht verdonnert wurde, Therapiestatt Strafe abzusitzen. Natürlich wählte er Therapie, da er nicht ins Gefängnis wollte. Und gerade dieser Typ begann mich zu terrorisieren. Ihm gefielen die Annehmlichkeiten, die man im Häfen nicht hatte. Ich brauchte dringend Ruhe und Schlaf, doch das gönnte er mir nicht. Jeden Abend um halb achtdrehte er das Radioziemlich laut im Zimmer auf und las bei sehr viel Licht Zeitung. So fand ich keine Ruhe und habe ihn gebeten, die Zeitung und das Radio im leeren Aufenthaltsraum zu genießen. Plötzlich wurde er aggressiv und drohte mir Gewalt an. Wenn mir was nicht gefällt, solle ich gefälligst nach Hause gehen, in diesem Zimmer hatte er das Sagen. Mein Entzug wurde immer schlimmer, ich ging zu einer Pflegerin und wollte in ein anderes Zimmer haben. Sie zuckte nur mit den Achseln und sagte, dass Zimmertausch hier nicht vorgesehen sei, da dies viel Schreibarbeit mit sich bringen würde.”. Am nächsten brach ich ab, da ich die Zustände nicht aushielt.
Nun treibt sich Richie wieder auf der Straße herum, der polnische Drogenhändler hat ihm sein drogenfreies Vorhaben versaut, einfach weil er körperlich stärker war. Ähnliche Geschichten habe ich von vielen anderen gehört, auch, dass einige private Therapieeinrichtungen sehr viel Kohle mit süchtigen Menschen machen. Die “Therapie” sah vor, dass Klienten das hübsche Eigenheim des Besitzers gratisrenovieren mussten.
Christian
Super, dass Du heiße Eisen in deine Artikeln angreifst und auch da reingehst, wo es (gesellschaftlich) weh tut. Sowohl mit den Bildern, als auch mit der Erzählung. Sehr gut treten dabei die unterschiedlichen Verletzungen der beschriebenen Akteure und Akteurinnen hervor. Das war auch immer meine Erfahrung in der Drogentherapie, dass neben der mitunter sehr destruktiven Suchtdynamik und durchaus immer wieder sehr gewaltvollen Drogenszene stets auch die Menschen mit ihren vielfältigen Verletzungen zu sehen sind. Eines sehe ich anders: Die Option Substitutionsbehandlung ist für viele Menschen durchaus einen Segen. Nicht das damit die Sucht an sich gebessert wäre (das ist oftmals noch nicht oder auch dauerhaft gar nicht möglich), aber sie rettet durchaus Menschenleben, reduziert manchmal Verelendung und kompletten Absturz, schädigt den Körper weniger (wenn es ordnungsgemäß eingenommen wird), reduziert Beschaffungskriminalität, usf. Klarerweise wird auch die Substitutionsbehandlung, wie alles auf der Welt von Menschen auch missbräuchlich verwendet und von einigen auch damit Geld gemacht. Das gehört natürlich kontrolliert, wird aber bei keiner Sache der Welt je ganz zu verhindern sein. Dieses alles für den persönlichen Vorteil auszunützen, was geht, scheint mir ein generelles Menschenproblem. Das Gesundheitswesen in Österreich wurde leider wie so vieles privatisiert. Das finde ich aus vielerlei Hinsicht äußerst bedenklich. Generell allen Therapieeinrichtungen zu unterstellen, dass Sie auf Gewinnmaximierung aus sind, finde ich schade. Ich kenne viele extrem engagierte Kolleg*innen, die sich für ihre Leute total ins Zeug hauen - unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Mein Eindruck war, dass immer viel zu wenig Geld da war, um anzubieten, was es eigentlich alles brauchen würde. Das auch da irgendjemand vielleicht Geld in seine eigene Tasche steckt, mag sein. Da gilt dasselbe wie bei der missbräuchlichen Verwendung von Substitution: Manche Menschen brauchen offenbar Kontrolle.