Das Lachen ist gnadenlos
Die moderne Adaption von Molières „Der eingebildete Kranke“ am Akademietheater geht beschwerdefrei über die Bühne
„Der Lappen muss hochgehen! Wie wir Theatermenschen so sagen.“ Wenn der Direktor des Akademietheater kurz vor Beginn der Aufführung persönlich auf die Bühne tritt, bedeutet das meist schlechte Nachrichten. Neochef Stefan Bachmann muss die Erkrankung von Regina Fritsch bekannt geben und mitteilen, dass man vor zwei Tagen noch nicht wusste, ob der Vorhang für die Österreichpremiere von Molières „Der eingebildete Kranke“ überhaupt aufgehen kann. Zum Glück wurde das Stück vom Schauspiel Köln übernommen, und es lag nahe, Rosa Enskat anzurufen. Sie spielte dort die Rolle des Argan, verzichtete tapfer auf ein paar freie Tage und stieg ins Flugzeug. „Was sie nicht wusste: Wir haben das Stück für Wien adaptiert, und Rosa hatte alle Hände voll zu tun, sich in diese Neuinszenierung einzufinden.“ Nach einem höflichen Applaus für den Überbringer der Botschaft geht der „Lappen“ hoch.
Ein Hoch der Hypochondrie
Die Bühne ist schwarz ausgeschlagen, in der Mitte steht eine leicht angeschmutzte Chaiselongue, auf der sich ein stöhnender Argan in einem dünnen Nachthemdchen mit einer üppigen Allongeperücke auf dem Kopf drapiert. Nur er weiß von seiner Krankheit, niemand sonst ist davon überzeugt. Argans Arzt steht dem Leidenden mit zahlreichen Klistieren und guten Ratschlägen zur Seite und kassiert dabei gutes Geld. Um sich einen Privatarzt zu sichern, plant Argan, seine Tochter Angélique mit dem Sohn seines Leibdoktors zu verheiraten. Diese hat jedoch andere Pläne, da sie in Cléante verliebt ist. Mit Hilfe des Dienstmädchens Toinette, einer begnadeten Strippenzieherin, sucht sie nach einem Ausweg. Toinette schlägt Argan vor, sich tot zu stellen, um zu beobachten, wer um ihn trauert. Gesagt, getan. Schnell stellt sich heraus, dass Argans Ehefrau Béline mehr jubelt als weint, während Angélique tief betrübt schluchzt. Das rührt auch Argan, und nachdem er – zum Schrecken aller – vom „Totenbett“ aufspringt, stimmt er der Hochzeit seiner Tochter mit Cléante zwar zu, verlangt jedoch, dass sein zukünftiger Schwiegersohn Arzt wird. Wieder hat Toinette eine gute Idee: Argan soll doch lieber selbst Arzt werden!
Molière (1622–1673) hinterließ mit „Der eingebildete Kranke“ eine Komödie, die sich nicht nur über einen selbstmitleidigen Hypochonder lustig macht, sondern vor allem auch die Rolle von Ärzten hinterfragt. Der Dichter widmete das Stück dem Sonnenkönig Ludwig XIV., der von seinen Ärzten zu Tode behandelt wurde. Grausames Detail am Rande: Molière, der selbst mehrmals die Rolle des Argan spielte, starb nach einer dieser Vorstellungen an einem Blutsturz.
Frischer Schwung
Wie hat sich nun Regisseur Stefan Bachmann diesem Stück genähert? Er änderte den Text. Bereits das Auftragswerk für das Schauspiel Köln ist eine Überschreibung von Barbara Sommer und Plinio Bachmann, die die Figuren „in einen Kreisel der Überempfindlichkeiten des 21. Jahrhunderts“ versetzen. Für Wien wurde das Werk nochmals überarbeitet. Und das Ergebnis? Der Text kommt flott daher, es darf oft gelacht werden, es fallen viele Fäkalausdrücke, politische Korrektheit wird gnadenlos aufs Korn genommen, Gendern wird durch den Kakao gezogen und mit Geschlechterrollen begeistert gespielt. Nicht nur der Text ist auf die Spitze getrieben, auch das Schauspielensemble, eine schöne Mischung aus Mitgliedern aus Köln und Wien, darf als liebenswerte Karikatur ihrer Rollen agieren. Einspringerin Rosa Enskat spielt den grantigen und wehleidigen alten Mann grandios und uneitel. Paul Basonga schlüpft für die Rolle der Angélique in ein weißes Puppenkleidchen mit knallroten Lippen und tänzelt unsicher von rechts nach links. Als perfektes Pendant fungiert Lola Klamroth als Cléante, die in ihren schmalen Beinkleidern durch die Szenen zappelt und achtsame Inklusionssprüche in Wortkaskaden über die Bühne schleudert. Tilmann Tuppy bewegt sich als Béline in einem Krinolinenkleid so elegant, dass man schon zweimal hinschauen muss, um den Mann hinter der Perücke und dem Make-up zu erkennen. Das in schimmernden schwarzen Anzügen gekleidete Arztgespann, Vater und Sohn, ist eine Klasse für sich. Von Barbara Petritsch als Doktor Purgon möchte man keinen Einlauf verpasst bekommen. Justus Maier als Sohn wirbelt, um seine vermeintliche Bedeutung zu unterstreichen, zum Umfallen komisch umher. Argans Bruder (Ernest Allan Hausmann) setzt gekonnt eine flammende Brandrede gegen Ärzte. Mit einer riesigen weißen Schleife auf dem Kopf beweist Melanie Kretschmann als Toinette ihr Talent als Puppenspielerin, die alle Fäden in der Hand hält.
Fazit:
Frischer Wind weht durch einen Klassiker. Ein Abend, der gute Laune macht und vor allem eines zeigt: An der Burg und im Akademietheater agiert eine grandiose Schauspieltruppe. Man darf sich auf viele weitere Abende freuen.
Josh Wink – ” Don’t Laugh”
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