KULTUR IST DER KITT, DER UNS ZUSAMMENHÄLT
Sebastian Brauneis ist ein freier Regisseur, den die Coronakrise mit voller Breitseite erwischt hat. Hier die Gedanken und Anregungen eines Künstlers, der mit gesundem Menschenverstand eine Analyse zu einer - für manche - aussichtslosen Situation macht.
Franz Feer vom L!FE MAGAZIN hat mit dem Ausnahmekünstler gesprochen
LIFE MAGAZIN: Wie erleben deiner Meinung nach der Großteil der Künstler*innen die Krise, und wie kann ein Wiedereinstieg aussehen?
Sebastian Brauneis: Es ist ein Hohn für die Gesellschaft, dass Künstler*innen ihre Arbeit mit anderen Jobs finanzieren müssen. Das macht die Krise jetzt noch schlimmer. Wie soll auch jemand, der von der Interaktion mit Menschen gelebt hat, so schnell in einem anderen Bereich unterkommen?
Für diejenigen, die nicht den nötigen Background haben, ist es fast unmöglich, diese Zeit zu stemmen. Genau da müssen der Staat und die Zivilgesellschaft eingreifen, um ein Überleben zu sichern.
LM: Wie könnte das aussehen?
SB: Es besteht ein riesiges Auseinanderklaffen. Die Krise macht die Reichen reicher und die Armen ärmer. Das wird politisch nicht abgefedert, sondern befeuert. Auch die psychische Belastung für Eltern und Alleinerzieher*innen ist enorm.
Kunst war immer ein Katalysator und eine Übersetzungsmöglichkeit. Genau das fällt jetzt weg. Jetzt müsste man in Digitalisierung, Infrastruktur und Projekte investieren, die möglichst viele Leute wieder in die Arbeit bringen. Nicht nur die Burg und die Oper fördern. Wo bleiben die kleinen Häuser und die Initiativen auf der Straße? Wer wird da überleben?
LM: Ist dieser, durch die Pandemie erzwungene, Trend zu Online-Veranstaltungen positiv?
SB: Wir sind soziale Wesen. Online wird ein Filter zwischengeschaltet. Das ist nicht schlecht, solange es die Wahl der Künstler*innen als Vermittlungswerkzeug bleibt. Sobald es vorgeschrieben ist, funktioniert es nicht, weil Kunst immer bei den Empfänger*innen entsteht. Ich mache nicht den Film, er entsteht bei den Betrachter*innen. Kunst lebt von einer gemeinsamen Interaktion und einem gemeinsamen Atem.
LM: Werden das Theater und die Kunst wieder so zurückkommen, wie wir es kennen?
SB: Vielleicht ist es auch eine Chance, dass man die elitären Strukturen durchbricht. Die, die oben sind, nicht so viel fördern, sondern erhalten. Der Klassismus der Gesellschaft steckt auch im Kulturbetrieb. Man müsste alle Kulturschaffenden als ein großes Ensemble fördern.
LM: Wie siehst du den politischen Umgang mit der Pandemie?
SB: Dass wir hier so sitzen und arbeiten, im x-ten Lockdown, getestet und auf Abstand, ist ja der ultimative Beweis, dass jemand seine Arbeit nicht gut gemacht hat. Parteipolitische und private Interessen stehen im Vordergrund. Wir brauchen zum Beispiel einen laufenden Bildungsbetrieb und Kinderbetreuung. Wir brauchen Normalität. Kultur ist Normalität. Kultur ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Das alles wurde nicht richtig bearbeitet.
LM: Warum finden trotz Sicherheitskonzepte keine Öffnungen statt?
SB: Es wurden falsche Prioritäten gesetzt. Für die Schulen sind die Turnhallen zu und Veranstaltungsorte bleiben geschlossen. Die durchführbaren Konzepte hätten etwas gekostet. Da steckt man lieber das Geld in Eigenwerbung.
LM: Was hältst du von den Demos?
SB: Man darf da kein Pauschalurteil fällen. Die Teilnehmer*innen sind schlecht bzw. falsch informiert und gehen mit der Überzeugung hin, dass sie 100% Recht haben. Auf der anderen Seite haben wir einen Politiker, der im Kleinwalsertal in der Menge badet und den Leuten genau das verbietet.
Man muss die Alten und die Jungen verstehen. Sie werden eingesperrt, während Freund*innen von der Obrigkeit Partys feiern…
LM: Wo liegt das Problem des intensiven Rechtsrucks zurzeit?
SB: Kickl und Co. ziehen genau solche Leute an. Der Ruck nach Rechts heute wurde in den 80ern verursacht. Da hätte eine Bildungs- und Kulturreform stattfinden sollen. Genau diese Menschen waren damals in der Schule. Reiche Leute – gute Schule, arme Leute – schlechte Schule.
Es wurde nicht gelehrt, Zusammenhänge zu begreifen, sondern stures Auswendiglernen. Das Problem wurde verschleppt, Wenn man jetzt ein weiteres Problem verschleppt, haben wir die nächste Generation Handy.
Es ist nach wie vor ein Klassismusproblem. Kunst und Kultur stellen sich nicht diesem Problem. Da geht es auch um Randgruppen, Migration und Diskriminierung. Gut, dass die Diskussion von weißen Privilegierten geführt wird, aber sie sollte auch von den Betroffenen geführt werden, doch dazu werden diese nicht ermächtigt.
Auch die Themen sexuelle und häusliche Gewalt. Wer könnte das sonst vermitteln, wenn nicht die Schule und die Kultur? Das Problem liegt darin, dass die Kultur nicht aus der eigenen elitären Position herausbricht und sich der Thematik stellt.
LM: Deine Gedanken zu Verschwörungstheorien und Corona als Instrument für die Mächtigen?
SB: Es ist wie bei einer Fabel, überall steckt ein wahrer Kern drinnen. Man packt sein Leben selber nicht mehr und sucht Erklärungen. Es ist eine spirituelle Sehnsucht und eine Art Ersatzreligion.
Auch das „Ausländer“-Schreien ist ja einfach, wenn man nicht akzeptieren will, dass man selber ein Wappler ist. Ausländer ist ja kein Franzose, sondern nur welche vom Balkan, Afrika oder dem arabischen Raum. Integration ist ja ein Miteinander. Und wer kann Vermittler*in zwischen den Kulturen sein? Die Kultur! Diese muss auch die Politik in die Pflicht nehmen. Nur hat diese ein absolutes Desinteresse an jeglicher kultureller Vielfalt, dass es erschreckend ist.
Die Kultur und ihre Schaffenden werden nur noch als Propaganda verwendet.
LM: Hast du durch diese Pandemie etwas gewinnen können?
SB: Das Problem wird genutzt. Ich habe im Sommer 2020 einen Spielfilm gedreht. „Eine Verabredung im Herbst“, der bald auf der Diagonale zu sehen sein wird.
Lieber Sebastian, herzlichen Dank für dieses offene und persönliche Gespräch! Wir freuen uns auf ein nächstes Mal und, in Zukunft, viele spannende Werke von dir
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