Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ im Akademietheater zeigt ein bestürzendes Beziehungschaos – grandios gespielt.
Erste Premiere der Saison: Im Akademietheater startet man mit einem Klassiker der österreichischen Literatur. Das Stück „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler ist beliebt, zitierbar und für Schauspieler*innen ein begehrtes Pool an attraktiven Rollen. Inszenierungen und Verfilmungen gibt es im deutschsprachigen Raum in reicher Zahl in die sich nun das Regiewerk von Barbara Frey des Akademietheaters einreiht. Die Produktion ist eine Kooperation mit der Ruhrtriennale.
Schwarz ist die Farbe des Abends
Kein freundliches Plop-Plop von einem Tennisplatz, keine stilvolle Kaffeetafel im idyllischen Garten, keine elegante klassizistische Villa in Baden, keine Menschen in duftig-weißen Sommerkleidern: Ein schwarzer transparenter bodenlanger Vorhang, ein schwarzer Sand am Boden und drei wuchtige Ledersessel bestimmen die Bühne. Die Protagonist*innen schieben sich in schwarzen Kleidern und dunklen Anzügen vorsichtig durch diese durchorchestrierte Tristessa (Bühnenbild: Martin Zehetgruber). Der Beginn ist auch alles andere als fröhlich, denn es geht los mit dem Begräbnis des Pianisten Korsakow, zu dem die Badener Sommerfrische-Gesellschaft mehr oder weniger geschlossen antritt. Der Selbstmord wirft Fragen auf. Während der Leichenzug hinter dem Vorhang dahin schreitet, beschreibt eine Stimme aus dem Off die umtriebige Arbeit von Maden an Leichen. Was sich so düster und schräg anhört, ist eine gelungene Art und Weise das Innere einer bürgerlichen Gesellschaft aufzudecken, die zwischen Langeweile, Depression, Mutlosigkeit, aber auch Werktätigkeit und Zukunftsplänen dahin taumelt.
Liebe ist ja doch nur ein Wort
Im Mittelpunkt der Handlung steht das Ehepaar Hofreiter. Er, ein Glühbirnenfabrikant, wohlhabend, gewohnt zu agieren und sich zu nehmen was ihm gefällt. Dazu zählt das Sammeln von Affären, die er mehr oder weniger emotionslos abträgt. Michael Maertens verleiht der Rolle in dieser Inszenierung viel Gewicht, mit seiner unverwechselbaren Art die Texte schnell und pointiert über die Bühne zu werfen. Die Dialoge mit seiner Ehefrau Genia kommen mit der Geschwindigkeit eines Gesprächs aus einer Screwball-Komödie daher und sorgen auch für den einen oder anderen herzhaften Lacher im Publikum. Sie, Genia, ist ein wenig gelangweilt, fühlt sich wenig beachtet, leidet heftig unter den Affären ihres Mannes und wirft daher aus Rache ihre erotischen Netze aus. Auch um ihren Marktwert zu testen. Katharina Lorenz ist eine beherrschte, elegante Dame der Gesellschaft, die einen mühsamen Narzissten wie Friedrich wahrlich nicht verdient hat, bei der Wahl ihrer möglichen Liebhaber aber auch nur im Bekanntenkreis wildern kann. Korsakow hat sich angeblich aus Liebe zu ihr umgebracht, möglicherweise aber starb er auch im Zuge eines „amerikanischen Duells“ mit Hofreiter. Dieser hatte Glück und zog das richtige Los. Genias nächster Liebhaber der junge Otto Aigner (sehr talentiert: Felix Kammerer) wird wieder ein Opfer von Friedrich, der keineswegs bereit ist, den Verhältnissen seiner Gattin zuzusehen. Er fordert den träumerischen Otto zum Duell und tötet ihn.
Ein Abend für Schauspieler
In diesem toxischen Umfeld, das übrigens trotz Duellforderungen und oldfashioned-Freizeitgestaltung sehr zeitgemäß daher kommt, kann niemand glücklich sein. Liebe ist hier zwar ein Wort, aber man hat nicht den Eindruck, dass jemand versteht was es bedeuten kann. Die Seele ist eben ein weites Land und diesem tappen die Protagonist*innen mehr oder weniger orientierungslos herum. Dass Barbara Frey mit den Schauspieler*innen genau die Dialoge studiert hat, steht außer Frage und das macht den Abend neben der hervorragenden Leistung der Beteiligten auf der Bühne, grandios. Bibiana Beglau spielt sowohl Anna Meinhold-Aigner als auch ihren Exmann Doktor von Aigner. Ein Kunstgriff, der bei dem Können einer Beglau aufgeht. Nina Siewart als Erna steht für eine nächste Generation Frau, die sich eine Affäre mit Hofreiter gönnt, aber nicht unbedingt in eine Ehe rennen möchte. Dorothee Hartinger als ihre Mutter, Itay Tiran als Doktor Mauer, Sabina Haupt als Adele und Branko Samarovski als ihr Mann reihen sich brillant in dieses Kammerspiel der Traurigkeit ein. Ein würdiger Auftakt für eine neue Saison, der Lust macht viele Vorstellungen zu besuchen.