Ganz Neue und ganz Billiger
Was tun, wenn man am Wochenende kein Couch Potatoe sein will, sondern raus in die weite Welt hinaus und Kontakt mit vielen Menschen haben will? Richtig, man geht auf einen Flohmarkt
Schon meine Mutter ging gerne auf Flohmärkte, um ihre Sammelleidenschaft auszuleben. Zugegeben, sie war auch ein bisschen kaufsüchtig, doch die Jagd auf Beute und das euphorische Gefühl, wirklich ein Schnäppchen gemacht zu haben, ließ sie regelmäßig Samstag und sonntags Vormittag auf lepschi zu gehen.
Als Kind hatte ich aber dabei leicht traumatische Erfahrungen gemacht. Meine Mutter maß nur 1,65 m und verschwand immer im Gedränge der vielen Menschen. Ich verlor sie jedes Mal wiederholt, fürchtete sie nie wieder zu finden und dass sie mich vergaß, mit nach Hause zu nehmen.
Aber sie fand mich, weil sie gellend über den ganzen Lärm des geselligen Treibens meinen Namen schrie. Ich genierte mich. Dann zog sie mich an der Hand in einem Tempo, welches selbst Niki Lauda imponiert hätte, weiter, um mich wieder stehen zu lassen. Na ja.
Studentenleben
Egal, als ich endlich 18 war und von zu Hause auszog, hatte ich das Glück, in der Nähe des Naschmarktes zu wohnen. Ich ging viel am Abend fort, also schaffte ich es am Wochenende nicht, um 7 Uhr die beste Ware in Augenschein zu nehmen. Vielmehr kam ich rechtzeitig, bevor die Reste der Stände weggekehrt wurden. Trotzdem fand ich manchmal Sachen, die mich damals interessierten und dank der Uhrzeit sehr billig waren.
Als ich wieder umzog, ging ich eine Zeit lang nur sporadisch auf den Südbahnhof-Flohmarkt, der im Parkhaus war.
Dort gab es Strom und es ging laut her. Damals gab es noch Kassettenrekorder, Walkmen und Schilling.
Multikulti
Mein Vorteil ist, dass meine Mutter Kroatin war und ich zweisprachig aufgewachsen bin und das Feilschen im Blut habe. Natürlich gehe ich „inkognito“ auf Flohmärkte und gebe meine Sprachkenntnisse nicht gleich preis. Doch wenn eine Standbesitzerin ihren Mann fragt, wieviel etwas kostet und mir gleich 10 Euro draufschlägt, melde ich mich verständlich zu Wort und die Preise purzeln wieder in den Keller.
Mittlerweile bin ich passionierte Flohmarktgeherin, aber nicht immer um etwas zu kaufen, sondern das Flair und ausgelassene Treiben zu genießen.
Die verschiedenen Nationalitäten, die sich auf einem Flohmarkt treffen, scherzen und lachen viel, es herrscht gute Stimmung, wie auf einem Basar, doch nicht so verbissen und geldgierig. Leben und leben lassen ist die Devise.
Die fünf Schilling wurden durch fünf Euro abgelöst, doch das Prinzip ist das gleiche geblieben.
Nachhaltig, Upcycling, Recycling und ganz Alte für ganz Neue zu verkaufen ist clever und modern.
Mathematik
Wenn man etwas krampfhaft auf dem Flohmarkt sucht, wird man es wahrscheinlich nicht finden, doch wenn man offen ist für kreative Lösungen anstelle seines gesuchten Schatzes, wird man überrascht. Es gibt manchmal an einem Tag gehäufte Wahrscheinlichkeiten von Sachen, die man vor Wochen gesucht hat. Ich fand an einem Tag sechs Mal ein komplettes Set an Golfschlägern, sieben Nähmaschinen, nachdem ich mir eine in „Willhaben“ gekauft hatte, ausgestopfte Viecher-inklusive Pferdefuß mit Hufe. Wer braucht so was? Auch Kurioses, Lustiges, hässliche Deko, kitschige Einrichtungsgegenstände, allerhand Praktisches findet man auf, unter und neben den Tischen.
Werkzeuge sind Männermagneten aber oft teurer als im Geschäft. Kleidung für alle Konfektionen in allen Farben und Materialien quillen auf Tischen über. Brillen in allen Dioptrien, „neue“ Windeln, Kosmetika und Weine, die jahrelang schlecht gelagert waren, Elektroartikel, die alle garantiert
„funktionieren“ und Geschirr, welches dauernd seinen Besitzer wechselt, findet man dort. Auch gefälschte Emil-Gallé-Aschenbecher, doch wer weiß, vielleicht hat man ja Glück und erwischt einmal ein wertvolles Original. Mir ist das noch nicht passiert, aber meine Mutter finanzierte sich so ihre Flohmarktbesuche und auch so manchen Urlaub.
Veranstaltungsorte
Es gibt sehr viele Flohmärkte in Wien : Naschmarkt, Wienerberg, Gewerbepark Stadlau, huma eleven in Simmering, Autokino, Haus und Kirchenflohmärkte, Metamarkt, Antikmärkte, karitative Flohmärkte, Geschäftsstraßenflohmärkte und kleinere erfolglose und peinliche Flohmärkte.
So auch der „Sonnenscheinbasar“ für Langschläfer, der erst ab 10:00 stattfindet. Als ich vorher alle meine Lieblingsflohmärkte absolviert hatte und noch immer ruhelos und unbefriedigt, ob der Beute war, versuchte ich dort mein Glück. Parkgebühr war zu entrichten mit Getränkegutschein inklusive. Ok, das geht ja noch. Doch sie hatten keinen Alkohol, welchen meine Begleitung gerne getrunken hätte. 3 Standln mit so unnützer, unspannender, unhübscher, unnötiger und unspektakulärer Ware, ohne Stimmung und Besucher, nein danke. Da gibt man Geld aus, ohne etwas nach Hause zu nehmen.
Leider kennen sich die Standlbesitzer immer mehr aus und so richtige wertvolle Antiquitäten kosten viel. Doch nicht nur für Haushaltsware, Spielsachen, Gewand, Bücher, Elektroartikel und schöne Bilder (oder nur deren Rahmen) kann man ein gutes Schnäppchen machen.
Urlaub vom Urlaub
Nach einem Flohmarktbesuch bin ich oft etwas erschöpft vom vielen herumlatschen. Auch die Geräuschkulisse, die vielen Sprachen, aufgeschnappte Sätze, Unmengen an Reizen für die Augen und Ohren müssen „verdaut“ werden. Doch ich bin richtig angenehm müde und froh, an einem Stückchen bunter Welt teilgenommen zu haben. Dann erhole ich meine Füße im neuen Sprudelbad, welches ich dort erstanden habe und denke nach, was ich nächste Woche brauchen könnte. Dann geh ich sicher wieder auf die Jagd.
„Die Gazelle zittert, weil der Löwe brüllt. Die Hyäne wittert. Doch die Kunst erfüllt.“ (Kurt Schwitters)
Janis Joplin „Try (just a little bit harder)" - recommended by Gala
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